Westalpencross 2008
- Susa - Ventimiglia - Susa -

War die norditalienische Stadt Susa bei unserem letztjährigen Alpencross der südliche Wendepunkt, ist sie dieses Mal der nördliche Start- und Zielort. Unsere Strecke führt uns von Susa bis nach Ventimiglia an der italienischen Blumenriviera und vom Mittelmeer wieder zurück nach Susa. Wie viele Kilometer und Höhenmeter dabei zu bewältigen sein werden, können wir während der Planung nur grob abschätzen. Aber es werden wesentlich mehr als wir erwartet hatten...


Siegfried Hügler, Helmut Hägele

 

1. Tag, Samstag 02.08.2008

In Susa stellen wir das Auto auf einem großen leeren Platz ab. Das Wetter ist wunderbar. Die Bikes sind schnell montiert und schon radeln wir los. Wir wollen auf den Col Finestre um auf der anderen Hangseite in Usseaux zu übernachten. Gestresst von der langen Anreise sind wir nicht so recht bei der Sache und vernavigieren uns ein wenig. Als wir in Frais sind, wissen wir definitiv, dass wir nicht ganz richtig sind. Der Berg wird länger und länger, und es ist mittlerweile schon reichlich spät. So übernachten wir ungeplant auf einer Alm auf ungefähr 2000 hm.

 

 

2. Tag, Sonntag 03.08.2008

Wir starten heute nach einer sehr einfachen Übernachtung so früh wie möglich. Ein starker Instant-Kaffe mit viel Zucker macht uns wach. Wir sind bald auf der Passhöhe angekommen und biegen nun links ab zum Col Finestre, den wir eigentlich gestern schon erreichen wollten. Von hier wieder zurück zum Col Assietta und über unzählige kurze Anstiege über Col Basset bis nach Sestriere. Enduro- und Quadfahrer sind unsere ständigen Begleiter. Bergauf werden wir überholt, bergab sind wir am Überholen, ein lustiges Spiel. In Sestriere tanken wir kurz auf und fahren gleich weiter. Es ist schon recht spät, die Assietta-Kamm-Strasse zieht sich doch ganz schön bis hier her. Wir überlegen, ob wir nun die eigentlich geplante Route über den Col Thuras nehmen, oder die etwas kürzere über den Col Mayt. Die Entscheidung fällt für die kürzere. Wir treffen hier Andi und Rudi, zwei Schweizer Radler, wieder, die wir am Col Assietta schon kurz getroffen hatten. Sie waren schon einmal hier, und haben den Abzweig zum Col Mayt schon einmal verpasst und sind ins falsche Tal eingefahren. Und wirklich, der Wegweiser ist kaum zu erkennen. Ein italienischer Radler hilft uns vieren bei der Orientierung mit seiner sehr guten Landkarte und wir biegen richtig ab. Erst auf schmalem Trail dann schiebend und tragend geht es es nun bergwärts. Eine üble Schlepperei über Wiesen- und Steinhänge beginnt. Ungefähr 500 hm später sind wir oben. Die nun folgende Abfahrt ist nicht besonders spektakulär, weder fahrtechnisch noch landschaftlich. Über einen teilweise total zugewachsenen Wiesentrail fahren wir vorsichtig talwärts. Man sieht nicht, in welche Löcher oder über welche Steine das Vorderrad in dem dichten Gras rollt. Zudem verliert sich irgendwann der Weg und wir schlagen uns zur nächsten sichtbaren Alm durch. Von hier rollt es wieder flüssig und wir fegen schnell ins Tal hinein. Im Gite d'Etappe in Le Roux machen wir Station. Kurz darauf treffen auch Andi und Rudi ein, und wir unterhalten uns beim Abendessen noch lange über den weiteren Verlauf der Tour. Wir sind heute in Frankreich angekommen. Die ständigen Grenzwechsel der nächsten Tage werden uns noch ganz schön verwirren.

 

 

3. Tag, Montag 04.08.2008

Auf Straße und später Schotter folgen wir unserer Route zum Mte Viso. Während der ganzen Fahrt in das Tal hinein, haben wir den Viso mit seinen fast 4000 Metern im Blick. Ab dem letzten Parkplatz geht es auf Singletrail steil bergauf. Es ist zum Glück einiges fahrbar, nur die steilen Abschnitte müssen geschoben werden.  Im Rifugio Viso füllen wir unsere Wasservorräte auf, essen etwas und fahren weiter. Nun wird's aber doch anspruchsvoll, und die Schiebe- und Tragepassagen sind jetzt eher von der anstrengenden Sorte. Es muss viel gestiegen werden, und der Weg verläuft teilweise über große Gesteinsbrocken, so dass man schon ohne Rad kaum weiß, wie man hier durchkommen soll. Irgendwann sind wir oben und genießen die Aussicht und das wunderbare Wetter. Auf 2800 Meter in kurzen Hosen und Shirt, da kann man nicht meckern. Wir queren auf gut fahrbaren Trail und kurzer Schiebepassage hinüber zum Pso Lossetta. Von hier folgt nun eine komplett fahrbare Abfahrt, ein spitzen Trail (S0-S1). Im oberen Teil machen wir viele Fotos. Die spektakuläre Kulisse der umgebenden Berge ergibt einen hervorragenden Hintergrund für unsere Bilder. Am Ende des Trails stoßen wir auf die Straße, die vom Col Agnel herunter kommt. Dieser folgen wir Talwärts bis nach Sampeyre und dank Rückenwind sind wir schnell in der Stadt. In der Tourist Info reservieren wir ein Zimmer im Rifugio Meira Garneri. Nach Einkauf und kurzer Stärkung entfliehen wir der Hitze in der Stadt und kurbeln auf schattiger Straße die letzten knapp 1000 hm des Tages bergwärts.

 

4. Tag, Dienstag 05.08.2008

Vom Rifugio bis zum Col Sampeyre ist es nicht mehr weit. Die 500 hm sind schnell abgespult. Oben nehmen wir die Schotterpiste Richtung Norden und brausen mit High Speed ins Tal nach Serre. Von hier aus sind in der Karte diverse Wanderwege eingezeichnet. Wir nehmen den GTA und gelangen so auf super geniale Trails. Teils in Spitzkehren bergab dann wieder leicht bergauf, aber immer flowig, ein Traum der kaum zu beschreiben ist.  Über Bassura und Pte Marmora fahren wir wieder auf Asphalt nach oben. In Preit füllen wir die Wasservorräte, begleitet von kaum zu überhörender Disco-Music, die aus irgendeiner Kneipe in der Ortschaft klingt. Die Straße führt steil ins Meira-Tal hinein. Lediglich ein paar Endurofahrer passieren uns während der Auffahrt.  Am Col Preit biegen wir rechts ab, und erklimmen die steile Schotterpiste. Immer steiler und am Schluss sehr holprig kommen wir am Rifugio Gardetta an. Wir waschen unsere Klamotten und sitzen noch in der untergehenden Sonne, bevor es Abendessen gibt. Es sind nur wenige Gäste da.

 

5. Tag, Mittwoch 06.08.2008

Am Morgen lacht schon wieder die Sonne über die Berggipfel. Der Wettergott scheint diesmal mit uns zu sein. Wir starten früh und fahren hoch zum Pso Brancia. Der Hüttenhund begleitet uns. Die Auffahrt ist teilweise etwas verschüttet und ganz kurze Passagen müssen wir schieben. Wir überqueren den Pass und schießen einige Fotos. Auf der anderen Seite folgt eine super Abfahrt (S1-S2). Schier endlos geht es ins Tal. Spitzkehren, schnelle Abschnitte, klasse. Der Hund hält mit und bei unseren unzähligen Fotostops wartet er geduldig. Am Schluss wird der Trail nochmal richtig tricky, sehr enge Kehren in dichtem Gebüsch lassen uns sehr vorsichtig fahren. 1200 hm tiefer an der Straße angekommen, der Hund ist immer noch bei uns, werfen wir einen Blick auf die Karte. Wir müssen nach links Richtung Sambuco. Und nun heißt es Abschied nehmen. Unser treuer vierbeiniger Begleiter wird nun nicht mehr mithalten können. Wir geben ihm noch etwas von unserem Wasser und von unserer Wurst und fahren das Stura Tal hinab. Er versucht noch auf der Straße bei uns zu bleiben, aber nach wenigen Metern verlieren wir ihn aus den Augen. Vermutlich wird er über den Pass zurück zur Hütte laufen. Kurz vor Vinado biegen wir in Roviera ab und beginnen die Auffahrt durch das Vallone di S. Anna hinauf zum Col Lombardia. Das Wetter verschlechtert sich stetig und oben am Pass windet es heftig. Zudem ziehen Regenwolken auf. Wir verlieren keine Zeit und fahren auf neuer Straße hinab nach Isola2000. Die Landschaft ist so wie eben ein französischer Wintersportort im Sommer aussieht. Aber da es gerade zu regnen beginnt, haben wir dafür eh kaum ein Auge. Wir stehen kurz unter, bevor wir die steile Skipiste weiter hoch schieben. Der Regen hält sich zum Glück in Grenzen und bis wir am Basso Druos sind, scheint schon wieder die Sonne. Die nun folgende Abfahrt ist ganz schön anstrengend. Viel loses Geröll und grobes Gestein lassen uns öfter schieben, als uns lieb ist. Zumal wir merken, dass aufgrund der fortgeschrittenen Zeit die Konzentration nicht mehr die Beste ist. Bis wir an den Seen unten sind, ist bereits dichter Nebel aufgezogen und wir entschließen uns, bei dem Wetter nicht bis ins Tal abzufahren sondern hinüber zum Rifugio Questa zu fahren, bzw. zu gehen. Denn wie sich herausstellt, wird dies ein fast einstündiger Fußmarsch durch dichten Nebel. Wir stochern uns von einer Wegmarkierung zur nächsten vorwärts. Es kommt uns unendlich lange vor. Bis wir plötzlich mehrere Pferde auf uns zukommen sehen und ein Guide meint, die Hütte wäre gleich da oben. Und in der Tat, 5 Minuten später stehen wir vor dem Rifugio. Die Hütte ist mehr als voll belegt. Wir bekommen daher ein Nachtlager in der benachbarten Biwakschachtel. Und ein super Abendessen in der zweiten Schicht.
 

6. Tag, Donnerstag 07.08.2008

Am Morgen erlöst uns die Sonne von der Schnarcherei, die der Horseguide in unserer Minibehausung veranstaltet hat. Und erstmals sehen wir die fantastische Bergwelt, die uns umgibt.  Das Frühstück ist OK und wir brechen auf. Auf dem Rückweg zu unserem Abbiegepunkt von gestern ist zum Glück einiges fahrbar. Über spektakulär angelegte Steinwege geht es zurück. Die weitere Abfahrt ist weniger spektakulär, wenn auch landschaftlich sehr beeindruckend. Mit sinkender Höhe werden die Wanderer zahlreicher, und kurz vor Therme di Valdieri wird's schon fast Tourislalom. So sind wir ausnahmsweise froh, als wir endlich auf die Straße kommen und es wieder rollen lassen können. Schnell sind wir nun in Entraque und beginnen von hier die Auffahrt zum Col Sabion. Erst Teer dann Schotter und im Wald steilste Pisten kosten ganz schön Körner. Nach der zweiten Bachquerung folgen wir dem frisch angelegten Weg, stetig steigend und auf schlechtem Untergrund, unterbrochen von unzähligen Schiebestücken. Wir sind schon ganz schön platt, bis wir zum finalen Schiebestück gelangen. Aber die letzten 400 hm schaffen wir auch noch und sind kurz nach einer Kuhherde oben. Der Weg sieht entsprechend aus. Wir betreten auf dem Col Sabion ein Naturschutzgebiet, in dem biken untersagt ist. Egal, der Trail macht Spaß und wir hoffen, dass uns kein Ranger erwischt. Die Geldstrafen für derlei Vergehen sollen hier recht saftig sein. Die Abfahrt ist allerdings gemessen an den Anstrengungen des Aufstiegs viel zu kurz und wir kommen bald auf eine Straße, die uns zum Col Tende führt. Wie gestern zieht auch heute wieder Nebel auf, und wir fahren fast blind von Kurve zu Kurve. Am Col Tende angekommen, sehen wir nicht viel mehr als das Pass-Schild. So fahren wir sicherheitshalber auf der Hauptpiste talwärts. Ab Quota finden wir noch einen klasse Trail durch den Wald nach Limonetto. Der ist in der Karte nicht verzeichnet. In Limonetto wollen wir im Posto Tappa übernachten. Dieses scheint es aber nicht mehr zu geben. Die Hotels sind auch alle voll (oder wollen keine Tagesgäste aufnehmen). Einem Tipp folgend fahren wir hinunter Richtung Limone (Piemont) und entscheiden uns für das Hotel Panice, das rechter Seite direkt an der Straße liegt. Die Entscheidung war gut, das Zimmer ist OK, das Essen super. Und bei einem Glas Rotwein können wir noch viele Erfahrungen mit den anwesenden deutschen Moppedfahrern austauschen.

 

7. Tag, Freitag 08.08.2008

Heute geht's auf die legendäre Ligurische Grenzkammstrasse, die 'Alta Via Liguria'. Viele Bilder haben wir davon schon gesehen. Man liest oft darüber und wir sind gespannt, wie es in Wirklichkeit ist. In der Morgensonne strampeln wir die gut 500 hm bis zum Col Tende zurück. Heute ist die Sicht wesentlich besser als gestern, kein Nebel, dafür strahlend blauer Himmel. Kurz nach dem Col Tende besichtigen wir das beeindruckende Fort Central, eine große, noch sehr gut erhaltene Festungsanlage aus dem 1. Weltkrieg. Weiter geht's auf teils sehr grobem Belag Richtung Süden. Die Piste geht ständig auf und ab, es gibt eigentlich kein ebenes Stück. Zudem ist der Belag wirklich anspruchsvoll. In den unzähligen Anstiegen muss man schon sehr genau die Linie wählen, um auch flüssig hochfahren zu können. So geht es schier endlos dahin und wir machen nahe des Rif. Don Barbara Mittagspause. Hier treffen wir wieder das nette Paar in ihrem Landcruiser. Sie hatten uns gestern am Col Tende schon bei der Orientierung geholfen. Und wir unterhalten uns auch dieses mal wider ausführlich über die weitere Strecke. Es geht weiter, und der holprige Belag geht uns langsam ganz schön auf die Nerven. Man tut gut daran, die Federung auf diesem Streckenabschnitt auf super Weich einzustellen. Mein eher auf grobe Bergabfahrten in technischem Gelände eingestelltes Fahrwerk lässt hier etwas Sensibilität vermissen. Kurz darauf treffen wir auch zwei der Enduro-Fahrer aus dem Hotel. Sie machen sich mit Pfiffen von einer Anhöhe herab bemerkbar, während wir diese passieren. Eigentlich abseits unserer Strecke, besuchen wir den Mte Saccarello. Die  Moppedfahrer aus unserem gestrigen Hotel sprachen von einer wunderbaren Rundumsicht von dort oben. Naja, zumindest wenn kein Nebel ist. Dieser ist nämlich schon wieder aufgezogen. So knipsen wir kurz ein Beweisfoto und fahren wieder zurück auf unsere Route. Der weitere Wegverlauf wechselt nun oft in bewaldete Regionen und verläuft somit vermehrt auf angenehmen Waldboden. Viele Kreuzungen und Abzweige kommen uns entgegen, es ist so gut wie nichts markiert. Unserem Gefühl folgend versuchen wir auf der Hauptpiste zu bleiben. Der Nebel verschwindet langsam wieder und endlich, in der Abendsonne irgendwann gegen 18:00 Uhr, erblicken wir unser Tagesziel, das Rifugio Allavena und gleichzeitig schon den südlichen Wendepunkt unserer Tour, das Mittelmeer. Am Abend im Rifugio dann, unterhalten wir uns lange mit zwei Italienern. Sie kennen so ziemlich alles, was wir bei unserer Tour schon gefahren sind. Ihr Onkel bewirtschaftet das Rif. Il Trucco nahe Susa, welches wir bei unserem letztjährigen Alpencross besucht hatten. Wie klein die Welt doch ist ...

 

8. Tag, Samstag 09.08.2008

Da wir heute bis auf fast 2000 hm aufsteigen und dann bis auf Meereshöhe abfahren, gehen wir davon aus, es wird heute eine lockere Etappe mit überwiegender Abwärtsrichtung. Es geht zurück zum Pte Vallette. Von hier beginnt ein klasse Trail, zunächst schnell bergab, dann auf der rechten Hangseite wieder steil aufwärts um kurz darauf wieder spaßig und zum Teil ganz schön ausgesetzt und anspruchsvoll weiter zu verlaufen. Die zwei Italiener sind auch hier unterwegs. Die GTA-Markierung lässt uns sicher sein, dass wir auf dem richtigen Weg sind, denn die restliche Beschilderung ist eigentlich nicht vorhanden. Nicht nur einmal stoßen wir mitten im Wald auf eine Kreuzung und es ist nicht klar, in welche Richtung es gehen soll. Nach vielen giftigen Zwischenanstiegen, scheinen wir endlich die finale Abfahrt erreicht zu haben. Nun geht es wirklich Abwärts, und das zum Teil super steil, aber auf genialem Trail. Gefolgt von einer High Speed Schotterabfahrt, auf der man es so richtig krachen lassen kann. Das Mittelmeer scheint uns mit aller Kraft anzuziehen. Und pünktlich zur Nachmittagshitze stehen wir direkt am Meer. Den Sprung ins kalte Nass verwehren wir uns, die Brandung ist etwas zu stark mit ablandiger Strömung. Also lassen wir das und gönnen uns zur Feier des Tages lieber ein ausgedehntes 3 Gänge-Mittagessen in einem der zahlreichen Strandrestaurants. Sind viele Alpencrosser hier in Ventimiglia am Ziel ihrer Tour, so ist es für uns gerade mal Halbzeit. Denn jetzt geht es wieder mit dem Bike zurück nach Susa. Wer uns kennt weiß, dass wir anstatt das Nachtleben in der Stadt zu genießen, uns lieber gleich wieder in den Sattel schwingen und weiterradeln. So geht es auf Asphalt wieder weg vom Meer Richtung Norden, hinein ins Roya-Tal. Wir fahren noch so um die 25 km bis sich die Sonne hinter die Berge senkt und wir das Hotel 'Relais de la Donane' links der Straße nehmen.

 

 

9. Tag, Sonntag 10.08.2008

Nach einem fantastischen Abendessen gibt es ein etwas sparsames aber dennoch ausreichendes Frühstück. Auf der SS20 geht es weiter den Schildern 'Col Tende' folgend. In dem Ort Tende angekommen, kaufen wir ein und machen Vesperpause. In der Tourist-Info besorgen wir uns eine MTB-Karte und wir entscheiden uns für die Tour Nr. 9. Diese wird uns auf den Col Tende führen. Das Thermometer zeigt weit über 30 Grad als wir weiter fahren. Zunächst auf Asphalt, später auf steilstem Schotterweg fahren wir bergwärts. Einige Moppeds passieren uns. Die tun sich etwas leichter auf dem steilen Weg, müssen sie ja nicht um jeden Meter kämpfen, sondern lediglich die rechte Hand etwas nach hinten drehen um schneller zu werden. Wie einfach es doch sein könnte. Trotzdem, oder erst recht, kommen auch wir auf dem Col Tende an. Dieses mal fahren wir die Zick-Zack-Trailabfahrt über die Wiese um hinunter nach Limonetto zu gelangen, und wir nehmen wieder das Hotel Panice zur Übernachtung.

 

10. Tag, Montag 11.08.2008

Heute steht zunächst viel Asphalt an. Wir müssen Strecke machen. Bergab sind wir schnell in Roccavione. Ab hier geht's hinauf zum Lago Rovina, einem beliebten Ausflugsziel. Dann auf die Straße, die uns zu den oberen Stauseen führt. Die Einfahrt ist mit einer Schranke gesichert, für Bikes kein Problem. Allerdings ist der Tunnel 250 hm weiter oben mit einem Eisentor verschlossen. Hmm, was tun? Ein anwesender Arbeiter hat zwar einen Schlüssel, sagt uns aber, er dürfe uns nicht durchlassen. Wir müssten den Wanderweg auf der anderen Talseite nehmen. Also gut, es ist schönes Wetter und wir liegen gut in der Zeit. Nur komisch, dass wir später den Arbeiter mit noch einigen weiteren Autos durch den Tunnel fahren sehen. Egal, wir haben Urlaub und wollen uns dadurch nicht die Laune vermiesen lassen. Dafür sehen wir auf dem Wanderweg Gämsen aus nächster Nähe und treffen noch ein amerikanisches Paar, mit denen wir uns lange unterhalten. Die oberen Stauseen liegen malerisch inmitten aufragender Gipfel und wir nutzen den schönen Ort um Mittagspause zu machen. Zumal jetzt ein heftiges Schiebe-Trage-Stück mit insgesamt 600 hm ansteht. Steil geht es nach oben und es ist so gut wie nichts fahrbar. Lediglich fürs Foto können wir ein paar Meter rollen. Oben am Pass Chiapous angekommen, können wir unser Ziel, das Rifugio Morelli Buzzi, schon sehen. Allerdings zieht auch gerade ein Gewitter das Tal herauf. Ein Wettlauf beginnt. Wer ist schneller an der Hütte, das Gewitter oder wir? Die Hütte ist zwar ständig in Sichtweite, aber der Weg (S2-S3) ist doch länger als es den Anschein hat. Die Felsen werden von den ersten Tropfen schon rutschig, und wir müssen sehr aufpassen. Zum Fahren in dem anspruchsvollen Gelände steht mir jetzt nicht gerade der Sinn. So rennen wir fast der Hütte entgegen und wir schaffen es genau mit dem einsetzenden Starkregen an der Hütte zu sein. Wir einigen uns auf Unentschieden. Die Wirtsleute kommen zur Tür, als sie unsere Ankunft bemerken, zumal Radler in dieser Gegend eine absolute Ausnahme darstellen. Wir werden mit Handschlag begrüßt, der Wirt spricht hervorragend Deutsch. Essen, Service und vor allem die Grappa-Bar sind spitze.

 

11. Tag, Dienstag 12.08.2008

Am Morgen ist es recht frisch, zumal die Sonnenstrahlen noch nicht bis in den Taleinschnitt hineinreichen. Und zudem bläst ein heftiger Wind, der sich hier nahe des Passes nicht so recht für eine Richtung entscheiden will. Als wir losrollen, werden wir ständig "vom Winde verweht", und wir schieben dann lieber, als uns an einer ungünstigen Stelle in die schroffen Felsen zu packen. Denn der Trail geht genauso anspruchsvoll weiter, wie gestern (S2-S3). Als wir die Baumgrenze erreichen, wird der Wind weniger und der Trail zugleich einfacher. Der Spaß beginnt. Die nun folgende Abfahrt war die Mühen des gestrigen Aufstiegs auf alle Fälle wert. Zwar teilweise ganz schön anspruchsvoll, aber für uns komplett fahrbar windet sich der Weg in Kehren abwärts (S1-S2). Unten im Wald mit vielen Steinen gespickt können wir zur Verwunderung der uns nun entgegenkommenden Wanderer einige tricky Stellen schön runterfahren. Wir fahren uns so richtig warm und haben einen riesen Spaß. Die Wanderer rechnen hier auf keinen Fall mit Radlern. Ein offensichtlich schwäbische Dame meinte verwundert zu ihrem Begleiter: „Do kommd oinr mim Fahrrad“ um ihm zu bedeuten er solle einen Schritt zur Seite gehen. Darauf ich: „Ond sogar no a Deidscher“ Ich lasse sie sprachlos zurück, der Trail zieht mich magisch weiter. Kurz unter Therme di Valdieri entlässt uns der Trail auf die Straße. Nun geht es schnell auf Asphalt nach Valdieri und von hier hoch zur Madonna Colletto. Leider scheint es von hier keine Trailabfahrt zu geben und wir rollen genauso auf Asphalt wieder ins nächste Tal hinein. In Demote kaufen wir groß ein und essen ordentlich. Der Hauptanstieg des Tages steht nun bevor. 1700 hm am Stück. Auf schmaler Teerstraße mit nahezu keinem Autoverkehr kurbeln wir bergan. Hatte es im Tal heiße 30 Grad ist es im oberen Teil nun ziemlich kühl. Knapp 12 Grad zeigt das Thermometer hier oben, und die Sonne hat sich mittlerweile hinter Wolken versteckt. Wir hoffen, dass es nicht zu regnen beginnt. Auf dem Col Morti knipsen wir das Marco Pantani-Denkmal. Von hier sehen wir schon das Rif. Trofarello, welches wir für unsere heutige Übernachtung eingeplant haben. Nach 200 hm Abfahrt sind wir da. Es sieht alles sehr familiär aus, für meinen Geschmack etwas zu familiär. Und in der Tat, ein anwesender Priester, der zum Glück sehr gut deutsch spricht, sagt uns, dies wäre kein Rifugio mehr. Er versucht uns noch mit einer Landkarte bei der weiteren Orientierung behilflich zu sein, aber wir wissen schon was das für uns heißt. Die 200 hm wieder hoch und hinüber zum nicht weit entfernten Rif. Gardetta. Der Weg zieht sich und wir sind nochmal knapp eine Stunde unterwegs. Das Wetter hält zum Glück und bis wir ankommen, scheint wieder die Sonne. Waren wir vor 5 Tagen fast alleine auf der Hütte, ist sie nun nahezu voll belegt. Unzählige Alpencrosser sind auf ähnlicher Strecke wie wir es waren auf dem Weg nach Süden. Sie sind entsprechend interessiert an unseren Erfahrungen, die wir auf dem weiteren Streckenverlauf gemacht haben.

 

 

12. Tag, Mittwoch 13.08.2008

Wir stehen vor allen anderen auf, um dem Trubel zu entgehen, wenn alle versuchen ihre Rucksäcke zu packen. So sitzen wir schon auf den Bikes, während die anderen noch ihren Frühstückskaffee trinken. Das Wetter ist wieder genial, die Sonne wärmt die Luft schon angenehm auf. Was uns im Nachhinein aufgefallen ist, es war kein Hund auf der Hütte (siehe 5.Tag)!?! Wir steuern den Col Mulo an. Von hier führt ein klasse Trail ins Tal. So stand es zumindest in einer Beschreibung aus einem der bekannten Szeneblättchen. Wir sind gespannt. Und wirklich der Trail ist nicht schlecht, aber wir sind schon bessere gefahren. Saumäßig steil, so dass man kaum sauber runterfahren kann. Dazu nicht besonders griffiger Granitsand und Erdboden. Nun gut, 500 hm später kommt man an eine Alm und wir rollen auf Asphalt weiter abwärts. Ab dem Talboden nehmen wir den Abzweig ins Elva-Tal, um auf den Col Sampeyre zu gelangen. Ein enges Tal mit ausgesetzter Straßenführung und sehr wenig Autoverkehr. Siggi ärgert noch einen Rennradler, der es gewagt hat, ihn zu überholen. Es gibt wenige Wegweiser und keinen der zu unserem Pass zeigt. So müssen wir oft auf die Karte schauen, und ein paar Mal fragen, bis wir die richtige Auffahrt erwischen. Oben angekommen, machen wir Mittagspause. Danach testen wir ein paar Trails, die auf der Karte recht interessant aussehen. Zunächst vom Col Biccoca hinab nach Chiesa. Der absolute Hammer. Ein Wahnsinns Trail, einer der Besten unserer Tour. Immer auf S1-S2 Niveau geht es steil ins Tal. Super griffige Felsen und Waldboden, gut fahrbare Stufen machen den Spaß perfekt. Fast 800 hm geht es so super steil hinab. Anstrengend ist es und wir machen in Chiesa eine kurze Rast. Um zum nächsten Trail des Tages zu gelangen, müssen wir auf steilster Militärpiste zum Col Battagliola hinauf. Die Sonne brennt gnadenlos in den Südhang und wir sind froh, als wir oben sind. Oben brauchen wir etwas, bis wir den Pass finden. Die Markierungen hier sind nicht unbedingt durchgängig. Und nun folgt der nächste geniale Trail. Zunächst geht es durch dichtes Buschwerk hinein in den Wald. Wie der Trail zuvor, bloß noch einen Tick steiler. Der Untergrund ist aber super griffig und die Vorderbremse hat einiges zu tun. Wahnsinn, wir können es fast nicht glauben und sind voller ‚Traildrenalin‘ als wir die Talsohle erreichen. Waren wir vor wenigen Minuten noch alleine inmitten der Bergwelt, herrscht hier in Pontechianale reges Treiben. Uns wird mulmig zumute, wollen wir doch hier eine Übernachtungsmöglichkeit suchen. Es wuselt geradezu von Menschen. „Bestimmt alles ausgebucht“ denke ich mir. Das Rifugio Savigliano, welches auf der Karte verzeichnet ist, liegt ca. 150 Meter über dem Ort. Wir kurbeln hoch und fragen mal, und siehe da: kein Problem. Zimmer Dusche, Abendessen, und ein extra Zimmer für die Bikes, perfekt! Zudem haben wir den vermutlich besten Ausblick beim Abendessen auf die Ortschaft und den Lago di Castello. Kleine Anmerkung: da sitzen zwei Deutsche in Italien, trinken ein holländisches Bier mit dem Namen Bavaria. Es lebe Europa. 

 

13. Tag, Donnerstag 14.08.2008

Der Wirt selbst ist aktiver Biker und gibt uns noch wichtige Tipps für unsere heutige Weiterfahrt. Und ein umfangreiches Lunchpaket obendrauf. So gefällt es uns und wir können das Rifugio Savigliano uneingeschränkt weiterempfehlen. Dem Tipp folgend, fahren wir bergwärts, bis wir auf einen Trail gelangen, der uns wieder auf die Passstraße führt. Nun geht es mit 14 prozentiger Steigung hinauf zum Col Agnel. Am Straßenrand sind noch die Banderolen der Tour de France angebracht, die vor wenigen Tagen hier durch kam. Ab der Passhöhe geht’s kurz hinunter bevor die Trailauffahrt zum Col Vieux folgt. Steil, aber durchaus fahrbar, 200 hm Lenkerbeissen. Wir sind gespannt, wie der nun folgende Trail sein wird. Auch diesen haben wir auf der Karte entdeckt und wollen ihn nun ausprobieren. Und was soll ich sagen. Der Trail ist genial. Wir sind sprachlos. Zwar führt er durch verblocktes Gelände, aber es gibt immer eine fahrbare Linie, super. Durch den nahen Parkplatz an der Passstraße sind entsprechend viele Fußgänger unterwegs. Aber es klappt wunderbar. Gegenseitige Rücksichtnahme und es ist für alle Platz. In Deutschland undenkbar. An einem der malerisch gelegenen Seen, dem Lago Foreant, machen wir Mittagspause. Das Wetter ist abermals genial. Der Trail geht weiter, immer auf S0-S2, ganz wenige S3-S4 Passagen. Ein riesen Spaß, wir sind überwältigt. Das hätten wir nicht erwartet. Nach 1100 hm Trailabfahrt, das Grinsen steht uns immer noch im Gesicht, ist der Spaß vorbei. Wir queren ein Bachbett und sind nahe Echalp. Auf Straße rollen wir hinab bis Aiguilles und weiter nach Queyaras. Es tröpfelt mittlerweile leicht, und wir überlegen, wie weit wir heute noch fahren wollen. Den Anstieg zum Col Izoard nehmen wir noch in Angriff, und wir fahren bis Arvieux, wo wir uns nach einer Unterkunft umschauen. Im Rif. la Teppio in la Chalp bekommen wir ein Zimmer. 

 

14. Tag, Freitag 15.08.2008

Durch unwirkliche Gerölllandschaft fahren wir in kühler Morgenluft nach oben, dem Col Izoard entgegen. Wir wundern uns etwas über die zahlreichen Autos mit Funkausstattung, die uns passieren. Oben angekommen erfahren wir, dass heute der ‚EmbrunMan-Triathlon‘ statt findet. Die Fans haben sich während unserer Auffahrt schon mal aufgewärmt, indem sie auch uns angefeuert haben. Wir sind froh, nicht mitten im Teilnehmerfeld unterwegs zu sein, und fahren ab der Passhöhe gleich weiter, nachdem wir uns warm eingepackt haben. Es ist heute ziemlich kalt. Auf Asphalt geht es schnell hinunter. Die Straße ist wie leergefegt, da bereits im Tal die Autos umgeleitet werden. Auf den zahlreichen Kehren ist somit Idealline angesagt, auch mal lustig. Ständig an der Haftgrenze der Stollenreifen fegen wir zu Tal. Unten angekommen biegen wir an einem unscheinbaren Abzweig rechts ab, um hinauf zum Col Infernet zu gelangen. Nach 1100 hm stehen wir vor dem Gipfelfort und passend fängt es gerade zu Gewittern an. Wind und Hagel setzen ein. Das Fort ist zum Glück begehbar und hat, wenn auch kein Dach mehr, doch ein paar Zwischendecken, die uns vor dem Wetter schützen. Die Zwangspause nutzen wir zum Vespern und für die Planung der Weiterfahrt. Nach einer guten halben Stunde ist der Spuk vorbei. Aufgrund der Kälte und der Nässe ziehen wir die Regenklamotten an und rollen auf guter Militärpiste ins Tal. Da wirklich alles patsch nass ist, lassen wir die wurzelgespickten Abfahrten des extra angelegten Bikeparks aus und bleiben auf der Schotterpiste. Von Montgenevre geht’s auf neuer Straße hinunter nach Cesana. Viele Plakate werben hier für MTB-Sport. Hier scheint was zu gehen in Sachen Bike-Sport. Wir hingegen halten uns nicht lange auf, entledigen uns der Regenklamotten und fahren hinauf nach Sestriere. Es ist immer noch sehr kalt heute und ich werde auch während der Auffahrt nicht so richtig warm. Wenigstens regnet es nicht. In Sestriere dann gönnen wir uns eine warme Pizza am Straßenrand bevor es in schneller Fahrt nach Usseaux geht. Im örtlichen Posto Tappa bekommen wir ein Zimmer, wir sind zwei von insgesamt vier Gästen.

 

15. Tag, Samstag 16.08.2008

Nach dem gestrigen Kälteeinbruch zeigt sich das Wetter heute wieder von der gewohnt guten Seite. Es ist sonnig und warm, so wie wir es mögen. Die Strecke führt uns heute hinauf zum Col Finestre. Viele Gedenksteine zeugen hier oben von einstigen Giro-Erfolgen. Der Lokalmatador Danilo di Luca scheint hier 2005 das Bergzeitfahren gewonnen zu haben. Es ist nicht zu übersehen. Aber wo die Rennradler aufhören geht es für uns erst richtig los. So nehmen wir den Trail hinauf zum Chiantiplagna. Eine steile Militärpiste, aber gut fahrbar, mit phantastischen Ausblicken. Oben treffen wir zwei italienische Radler. Als wir ihnen erzählen, wo wir herkommen und was wir die letzten Tage so gemacht haben, bieten sie uns einen ihrer Riegel an. Als dann Siggi aber unser Vesper aus dem Rucksack zaubert, packen sie den Riegel schnell wieder weg. Wir essen unsere letzte Salami und unser Brot dazu, wohl wissend, dass nun gleich die letzte Abfahrt unserer Tour folgt. Auf gleichem Weg, auf dem wir die Tour begonnen haben, geht es nun schnell ins Tal. An ein paar ausgesetzten Stellen knipsen wir noch ein wenig und schon geht es weiter. Auf dem unteren Asphaltstück fahren wir wieder Ideallinie, es ist kein Verkehr. Bis auf eine Kurve. Der Autofahrer erschrickt genauso wie ich. Und ich denke mir, es ist nun Zeit, dass wir zum Ende kommen. Bald darauf stehen wir wieder in Susa. Das Auto ist noch da, alle Räder sind dran, die Bikes haben gehalten, ebenso unsere Knochen. Alles ist perfekt und wir sind überglücklich, diese Tour geschafft zu haben.

 

Diese Tour war abermals ein Highlight unter unseren Alpentouren. Abgelegene, einsame Täler und fehlende Beschilderung machten die Orientierung stellenweise nicht leicht, aber genau das ist der Reiz, den die Westalpen ausmachen. Es ist alles ein wenig größer, unwegsamer, extremer. Aufgrund der Weitläufigkeit der Berge verteilen sich die Menschen in den Bergen und nur an wenigen Punkten hat man mit Menschenmassen zu tun. Super Trails haben wir gefunden. Zum Teil aus bekannten Routenbeschreibungen, und, vor allem die Trails auf dem Rückweg, durch ausprobieren. Unser Fazit: jeder der 936 km und 31.727 hm hat sich gelohnt. Es war wieder einmal mehr ein unvergessliches Erlebnis.

Helmut Hägele


Um vergeblichen Nachfragen vorzubeugen: es existieren keine GPS-Tracks von der Tour.

 

Helmut Hägele, Siegfried Hügler - August 2008
©www.noBrakes.de

zurück