Westalpencross 2007

Für das Jahr 2007 haben wir uns eine besondere Alpentour vorgenommen. Während große Reiseveranstalter mittlerweile die Biker zu tausenden über die Haupt-Alpencross-Routen der Zentral- und Ostalpen gen Gardasee begleiten, begeben wir uns in das Gebiet der Westalpen.
Von Sion, im Schweizer Kanton Wallis, starten wir zu einer Rundtour bei der sich ein Highlight an das andere reiht. So befahren wir Trails an den Hängen des Mt. Blanc, geniessen die kulinarischen Spezialitäten des Piemont, passieren den Gran Paradiso auf einem ehemaligen kaiserlichen Reitweg. Wir schleppen die Bikes mehrmals auf über 3000 m um danach 2000 hm am Stück abzufahren. Von einsamen Trails und vereisten Gletschern aus haben wir einen fantastischen Blick auf das Matterhorn, um nach 12 erlebnisreichen Tagen wieder in Sion anzukommen. Auf den 12 Etappen werden wir 700 km zurücklegen und dabei  24.000 hm fahrend, schiebend und tragend überwinden. Eine Tour der Superlative...ein einmaliges Erlebnis.


Siegfried Hügler, Helmut Hägele

 

1. Tag, Samstag, 04.08.2007, Sion - Verbier

 

Nach einer sechsstündigen Autofahrt stellen wir das Auto an einem Einkaufszentrum in Sions Süden ab. Wir montieren die Bikes und radeln gleich los. Das Wetter ist spitze, endlich. Nach unseren Erfahrungen der vergangenen Jahre keine Selbstverständlichkeit. Die Auffahrt nach Nendaz ist unspektakulär. Allerdings fällt uns die Orientierung in den vielen verteilten Häusern und Ortschaften ziemlich schwer. Ein einheimischer Biker hilft uns weiter und wir finden so eine Piste im schattigen Wald, die uns bis zum ersten Pass der Tour, dem Croix de Coeur führt. Hier oben weht ein stetiger Wind, den unzählige Gleitschirmflieger zum abheben nutzen. Wir geniessen den ersten Blick auf das gewaltige Massiv des Mt. Blanc. Wir unterhalten uns kurz mit drei Schweizer Bikern, die dann den Kiesweg hinunter nach Verbier nehmen. Das kommt für uns natürlich nicht in Frage. Und nach kurzer Orientierung ist der Trail unserer Wahl auch schon gefunden. Flowig und teils extrem steil, S0-S2, führt der Weg hinunter bis direkt in die Häuser hinein. Da wir erst um 13 Uhr losgeradelt sind ist es nun schon reichlich spät, und wir können kurz vor Ladenschluss in der Tourist Info noch ein Zimmer organisieren.

 

 

2. Tag, Sonntag, 05.08.2007, Verbier - Rif. Elisabeth

 

Am Abend studierten wir schon die Karte, welcher Weg uns heute ins Tal führen soll. Wir verlassen Verbier in westlicher Richtung und treffen wenige Meter nach dem Ortsausgang auf einen Weg der mit "Fussweg" bezeichnet ist. Genau richtig ,denken wir und biegen ein. An Heuhütten und Chalets vorbei geht es steil bergab. Teilweise auf engem Pfad, dann wieder auf grobem Steinbelag schlängelt sich der Weg in engen Kehren auf S1-S2 Niveau abwärts. Der schwere Rucksack schiebt ganz schön und wir müssen uns erst noch an das Zusatzgewicht gewöhnen. Bald sind wir in Sembrancher, wo die Auffahrt zu unserem nächsten Pass, dem Col Ferret beginnt. Lange Kilometer auf Asphalt führen uns ins Tal hinein. Nach einem kurzen Verfahrer finden wir die richtige Auffahrt zur Alm La Peula. Entgegenkommende Biker zeigen uns, dass wir richtig sind. Ab der Alm wird der Weg zum Trail, ist aber immer noch grossteils fahrbar.  Mit vernachlässigbaren, kurzen Schiebestücken gelangen wir schnell auf den Col Ferret. Von hier haben wir eine sagenhafte Aussicht auf die angrenzenden Gletscher und auf unsere Abfahrt ins Val Ferret hinunter. Der nun folgende Trail ist wohl einer der besten der Alpen. Zunächst flach dahinrollend, wird er bald sehr steil und windet sich in engen Kehren talwärts, um kurz darauf wieder über anspruchsvolle Gesteinsstufen zu verlaufen, S0-S3. Die zahlreichen Wanderer beobachten uns mit Interesse, manche sind regelrecht entsetzt, als wir vor Ihren Augen auf für sie nur mit Schwierigkeiten überwindbare Steinstufen zurollen. Ein japanisches Duo knipst einige unserer Fahrmanöver, als wir sie auf halber Höhe passieren. Der Trail ist der Hammer und ich habe während der ganzen Abfahrt ein breites Grinsen im Gesicht. Unten an der Alm 'pre de Bar' folgen wir nicht dem Fahrweg, sondern nehmen abermals den Wanderweg. Doch irgendwann hat der Spass ein Ende und wir vernichten die letzten Höhenmeter auf Asphalt. Im Tal angekommen biegen wir kurz vor Courmayeur rechts ab ins Val Veny, hinauf zu unserem nächsten Pass, dem Col Seigne. Steil führt die Strasse bergwärts und wir kommen ordentlich ins schwitzen. Als endlich die Asphaltstrasse in einen Kiesweg übergeht und ab hier die Weiterfahrt für KFZ mittels Schranke unterbunden ist, wird es endlich ruhiger. Nun können wir die wunderbare Landschaft des Val Veny geniessen. Ein Hochtal mit grünen saftigen Wiesen umrahmt von lauter Viertausendern, die Ihre zackigen Gipfelgrate gegen den stahlblauen Himmel strecken. Ein Wahnsinn. Am Ende der Hochfläche sehen wir auch schon unser Tagesziel, das Rifugio Elisabeth. Zum Schluss wirds nochmal supersteil und bedingt durch den groben, losen Belag leider unfahrbar. So schieben wir die letzten wenigen Höhenmeter der Hütte entgegen und bekommen ein Nachtlager neben Don und Meinrad aus den USA. Wir parken unsere Bikes auf der Terrasse, der Gipfel des Mt. Blanc scheint zum Greifen nah. Beim Abendessen lernen wir noch einen Wandergruppe aus Deutschland kennen, die wir in ein paar Tagen nochmals treffen werden.

 

 

3. Tag, Montag, 06.08.2007, Rif. Elisabeth - Val d'Isere

 

Am Morgen begrüßt uns die Sonne und zaubert ein atemberaubendes Panorama in die Gebirgslandschaft. Wir fahren dem Col de la Seigne entgegen. Auf den letzten Metern vor dem Pass müssen wir ab und zu die Bikes schieben. Es ist zwar nicht unfahrbar steil, aber wir spüren noch die gestrige Etappe in den Beinen und die dünne Luft hier oben tut ihr Übriges dazu. Doch die phantastische Gebirgslandschaft entschädigt uns für die Mühen und wir sind bald oben angekommen. Von dem Pass führt ein leicht fahrbarer Trail hinab ins Tal, S0-S1. Viele entgegenkommende, angestrengt wirkende Wanderer werfen uns neidische Blicke zu, als sie unsere genussvolle Abfahrt beobachten. Wir vernichten so 700 hm bis wir bei Ville des Glaciers auf die Strasse stossen, die uns talauswärts führt. Auf der kaum befahrenen Strasse gelangen wir über schnelle gerade Passagen, dann wieder über viele aufeinander folgende Kehren bis nach Bourg St. Maurice. An der ersten Kreuzung orientieren wir uns kurz und biegen sogleich links ab Richtung Val d`Isere. Die Sonne brennt auf uns herab und die Höhenmeter addieren sich nur zäh auf dem Höhenmesser. Über 1000 müssen wir bis Val d`Isere überwinden. Aber nach einer Vesperpause und ein paar verzweifelten Rennradfahrern, die uns am Berg einfach nicht kriegen, vergeht die Zeit wie im Fluge. So sind wir bald in Tigne und dann auch gleich in Val d`Isere angekommen. Der Ort begrüsst uns mit dem typischen Charme eines französischen Wintersport-Ortes. Die angewandte Architektur ist nun wirklich nicht jedermanns Sache. Überall wird gebaut und gewerkelt. Da wir ziemlich zeitig hier sind, überlegen wir hin und her ob wir nicht weiterfahren sollen. Über den Iseran und runter nach Bonneval. Aber von Asphaltrollerei haben wir heute eigentlich genug, ausserdem brennt die Sonne gnadenlos in den Anstieg zum Pass. So entschliessen wir uns hier zu bleiben, und den heutigen Tag als 'Ruhetag' zu deklarieren. Über die Tourist Info bekommen wir im Hotel Bellevue ein günstiges Zimmer. Es ist Markt. Wir schlendern durch die Gassen an den Verkaufsständen vorbei, unterhalten uns mit einer Deutschen, die hier eine Wohnung besitzt, und feilschen mit den Marktleuten um den ein oder anderen Snack.

 

 

 

4. Tag, Dienstag, 07.08.2007, Val d'Isere - Ref. Petit Mt. Cenis

 

Heute Nacht hat es gewittert und ordentlich geregnet. Und auch jetzt, als wir beim Frühstück sitzen, schüttet es wie aus Kübeln. "Super" denken wir, wären wir nur gestern schon über den Iseran. So trinken wir eben eine Tasse Kaffee mehr und bestellen nochmal Brot. Bis wir unsere Rucksäcke gepackt haben, hört es auch schon auf zu regnen und die Sonne kommt raus. In erfrischender Morgenluft kurbeln wir den Col de L`Iseran entgegen. Ein paar Radsportenthusiasten feuern uns aus dem Auto heraus an "Allez, allez, allez..." während wir unsere schwerfälligen Stollenreifen über den Asphalt wuchten. Wir sind früh dran und fast alleine auf der Strasse. Erst kurz vor der Passhöhe kommen uns die ersten Moppeds entgegen. Oben angekommen suchen wir den Trail der uns auf der Wanderkarte ein kurzes Stück interessante Abfahrt verspricht. Ein paar Meter schieben und wieder ein paar Meter fahren. Naja, wir hatten uns das besser vorgestellt. Wir sind froh, bald wieder auf der Strasse zu sein. Da das Wetter mittlerweile mehr als schlecht aussieht, wollen wir keine weiteren Experimente wagen und rollen auf der Strasse hinunter nach Bonneval. Mit den ersten Regentropfen kommen wir hier an und wir stellen uns am Ortseingang unter. Es regnet sich ein. Schön gleichmässig und ausgiebig. Wir warten und nutzen die Zwangspause zum Vespern. Uns wird langsam kalt und wir steifen unsere Regenklamotten über. Als es kurz den Anschein hat, der Regen würde nachlassen, fahren wir weiter. Doch sofort beginnt es wieder heftig zu gießen. Egal, wir radeln die Strasse entlang, stellen uns abermals für eine halbe Stunde unter. Trotz Regen fahren wir weiter über den Col de la Madeleine und rollen hinunter nach Lanslevillard hinein. Von hier wollen wir hoch zum Col Mt. Cenis und weiter über das Fort Turra und den Col Beccia. Während unserer Auffahrt regnet es zum Glück nicht, und wir können ohne die lästigen Regenklamotten bergwärts fahren. Oben, kurz vor dem Pass beginnts dann wieder zu regnen und wir stehen in dichtem Nebel. Unter diesen Bedingungen lassen wir die Fahrt über das Fort Turra und den Col Beccia sein, dies wären noch zusätzliche 800 hm und eine längere Schiebepassage. Stattdessen fahren wir direkt weiter zum Rifugio Petit Mt. Cenis, unserem heutigen Tagesziel. Es ist zwar noch recht früh, aber wir sind ziemlich durchnässt und sind froh ein Dach über dem Kopf zu haben. Zudem ist der Holzofen in der Gaststube geheizt. Keine zehn Pferde bringen mich unter diesen Bedingungen wieder nach draussen.

 

 

5. Tag, Mittwoch, 08.08.2007, Ref. Petit Mt. Cenis - Rif. il Trucco

 

Das Wetter sieht heute sehr gut aus. Die Sonne scheint und die letzten Nebelfelder sind im Begriff sich aufzulösen. Und natürlich wollen wir unter diesen Bedingungen das nachholen, was wir gestern wetterbedingt auslassen mussten. Das Fort Turra und den Col Beccia. Als wir zum Col Mt. Cenis zurückfahren sehen wir erstmals den Lac Mt. Cenis, der sich gestern im Nebel versteckt hielt. Wir fahren zurück bis zum Abzweig und dann hoch zum Fort Turra. Auf guter Piste fahren wir bergwärts. Oben angekommen sind wir beeindruckt von der exponierten Lage und der Ausdehnung der ehemaligen Wehranlage. Wir schauen uns lange um, erkunden einige der dunklen, in den Fels gebohrten Stollen und fahren weiter zum Col Beccia. Haben wir doch heute noch einiges an Strecke vor uns, denn nach dem Col Beccia wollen wir über den Col Clapier. Kaum sitzen wir auf den Bikes beginnt es wieder zu regnen. Aber fahren können wir eh nicht lange, denn bald ist Schieben angesagt. Den Weg zum Beccia können wir im mittlerweile aufgezogenen Nebel nur erahnen. Da es dann auch noch zu hageln und zu donnern beginnt, entschliessen wir uns zur Umkehr. Der Fussweg bis zum Pass war mit über einer Stunde angegeben, und wir hätten noch mindesten 45 Minuten vor uns. Bei den Bedingungen kein Spass. So rollen wir auf gleichem Weg wie wir gekommen sind zurück zum Col Mt. Cenis. Unten am See sehen wir rüber ins Val Savine, wo wir eigentlich hin wollen. Dort hängt das Unwetter ganz dick drin und wir entscheiden uns schweren Herzens auf der Strasse hinunter nach Susa zu fahren. Wir umfahren den See auf der rechten Seite auf einer guten Piste, 'Tour du Lac' steht auf dem Schild. Und bis wir das Ende des Sees erreicht haben, beginnt es wieder heftig zu regnen. Wir stellen uns im ehemaligen Grenzhäussen unter, das früher den Grenzverkehr zwischen Frankreich und Italien kontrollierte. Während wir da so stehen stellen wir fest, dass die vorbeikommenden Autos ihr Tempo verlangsamen. Sie halten uns wohl für Grenzbeamte. Wir machen uns einen Spass daraus, und winken alle freundlich durch. Als es nicht mehr ganz so stark regnet fahren wir weiter 'nach Italien'. Bei der Abfahrt werden wir wieder richtig nass. Wir fahren langsam, da es mittlerweile sehr kalt geworden ist. Erst kurz vor Susa hört es auf zu regnen und in der Stadt können wir endlich wieder die Regenklamotten ablegen. Von hier steht jetzt noch ein Anstieg über 1200 hm an. Wir wollen hoch zum Rifugio il Trucco. Das Wetter sieht nicht schlecht aus und wir erklimmen Kehre um Kehre. Viele kleine Strässchen zweigen ab und wir müssen oft auf die Karte schauen, um nicht ins falsche Tal abzubiegen. Auf dem kleinen, von grünem Urwald eingerahmten Strässchen ist so gut wie kein Verkehr. Einige Male kreuzen wir den Wanderweg 'GTA', Grand Traversata delle Alpi, dessen Grobrichtung wir ab heute folgen werden. Wir sind noch nicht ganz am Rifugio angekommen, da beginnt es schon wieder zu regnen. Wir legen einen Zahn zu, laut Höhenmesser kann es nicht mehr weit sein. Und genau zu dem Zeitpunkt, als es richtig zu Schütten beginnt, kommen wir am Il Trucco an. Punktlandung!
Die freundlichen Wirtsleute heissen uns willkommen und verköstigen uns am Abend vorzüglich. Der angeheizte Kamin ist bald von uns und unseren feuchten Klamotten umlagert. Die Wärme tut gut nach der heutigen nassen Etappe. Wir unterhalten uns noch lange mit einem belgischen Wanderer-Paar, das dem GTA folgt. Und mit 2 österreichischen Wanderern, die morgen auf den "Val di Susa" Höhenweg wollen. An den Fragestellungen der Österreicher merken wir, dass die zwei einen völlig falschen Eindruck vom Radfahren und speziell vom Mountainbiken haben. So meinen sie, da wir ständig beim Fahren auf den Boden schauen müssen, würden wir den ganzen Tag nichts von der Landschaft sehen. Und noch weitere für uns verwunderliche Aussagen kommen zu Tage. Wir versuchen alles richtig zu stellen und überreichen ihnen noch eine noBrakes Visitenkarte.
Nachts regnet und stürmt es heftig, die Temperaturen fallen bis fast auf den Gefrierpunkt. Dem belgischen Paar steht eine harte Nacht im Zelt bevor, wir sind froh im Haus zu sein.
 

 

6. Tag, Donnerstag, 09.08.2007, Rif il Trucco - Albergo Sistina

 

Kurz nach 6 Uhr ist die Nacht vorbei. Nicht etwa wegen der Sonne, die versucht durch das angelaufene Fenster zu scheinen. Nein, es sind die angeregten Diskussionen unserer Zimmernachbarn. Die Zimmer sind sehr hellhörig und wir verstehen jedes Wort. Es wird über hochgeistige Themen diskutiert, zu denen ich morgens zu der Uhrzeit überhaupt gar keinen Zugang finde. Naja, wir sehens gelassen und nutzen die Zeit um als erste am Frühstückstisch zu sitzen. Die beiden Belgier im Zelt haben wohl kaum ein Auge zugetan wegen des Sturms. Ausserdem war es wohl eiskalt. Es hat bis auf ca. 2500 herab geschneit in der Nacht. Die beiden Österreicher wollen heute auf den Höhenweg. Wir essen unser Frühstück auf und machen uns auf den Weg. Bis zur Alp Arcella ist alles fahrbar aber dann führt der GTA auf einem steilen Weg nach oben. Wir folgen der Markierung für die nächsten 500 hm zu Fuss. Oben auf dem Kamm ist dann alles wieder fahrbar, S0. Am Croce die Ferro angekommen, müssen wir uns erst mal warm anziehen. Es weht ein eisig kalter Wind, und wir spüren so, dass nur wenige Meter über uns Neuschnee liegt. Das ist aber alles halb so wild, denn bei der nun folgenden Abfahrt wird es uns ganz schön warm. Ein mit groben Steinplatten ausgelegter Weg führt talwärts. Zunächst in weiten Schleifen und nicht sonderlich steil, S1. Teilweise aber ganz schön verblockt und man muss schon genau die richtige Linie suchen. Unten raus wirds dann richtig interessant. Enge Kehren, tiefe Rinnen und grobes Gestein, S2-S3. Wir müssen auf den Bikes richtig arbeiten, und ich schnaufe fast mehr als beim Bergauffahren. Eine entgegenkommende Wanderin sagt nur "you are crazy" als ich sie an einem total verblockten Abschnitt passiere. Ihr Begleiter steht mit heruntergeklappter Kinnlade daneben. Das motiviert mich nur noch mehr eine saubere Linie zu fahren. So kommen wir wieder gut aufgewärmt am Lago Malciaussia an. Von hier gehts auf einer schönen Strasse mit vielen engen Kehren weiter. Es rollt wie von alleine, bis wir in Viu sind. Von hier, der Stadt des Pinnochio, fahren wir über den Truc della Dieta nach Mezzenile und nach Ceres. Hier erkundigen wir uns in der Tourist Info nach einer Übernachtungsmöglichkeit, möglichst in Monastero di Lanzo, da dies auf unserer Strecke liegt und wir noch etwas Zeit haben. Das nette Mädchen kann uns sogar gleich ein Zimmer im Albergo Sistina reservieren und wir können entspannt die letzten 500 hm in Angriff nehmen. Der Gasthof liegt etwas versteckt und wir müssen mehrmals fragen, bis wir ihn finden. Als wir ankommen, werden wir vom Wirt schon erwartet und mit Handschlag begrüßt. Die nette, familiäre Atmosphäre setzt sich beim Abendessen fort. Die Bedienung gibt sich alle Mühe aber wir verstehen leider nicht, was sie uns sagen will. Wir können ihr nur verdeutlichen, dass sie, egal was sie uns anbietet, es einfach nur bringen soll. Dies sollte dann zu unserem ersten 7 Gänge-Abendessen werden. Eine exklusive, regionale Spezialität folgt der anderen. Ein kulinarisches Erlebnis, eine Gaumenfreude par excellence. Es gefällt uns hier im Piemont.

 

 

7. Tag, Freitag, 10.08.2007, Albergo Sistina - Noasca

 

Ganauso umfangreich wie das Abendessen ist auch das Frühstück. Wir essen lange, bevor wir uns auf den Weg machen. Es ist wieder bestes Wetter und wir sind gespannt, was uns die heutige Etappe bringen wird. Es soll ein ziemlich unwegsamer Trail mit schwerster Orientierung sein, dem wir heute folgen wollen. Na, schauen wir mal. Zunächst geht es auf Asphalt und Schotter bergwärts. Am Lago di Monastero vorbei, die Hüle (Dorfteich) in meiner Heimatdorf ist grösser, gelangen wir auf einen Pass, von dem wir zunächst glauben, es wäre der Col Gavietta. Ich muss dazu sagen, wir hatten keine vernünftigen Karten von dem Gebiet. Wir überqueren den Pass, es geht auch ein Fussweg weiter. Aber irgendwie zweigt dieser ins falsche Tal ab und wird eher zum Steig. Wir sind skeptisch und kehren vorsichtshalber um. Nach kurzer Nachfrage an der Alm Costapiana und der Alm Coassolo finden wir den richtigen Weg und gelangen auf den richtigen Col Gavietta, der nun auch mit einem Schild gekennzeichnet ist. Wie sich später herausstellt, war unser erster Pass der Col Perascritta. Nun sind wir richtig und begeben uns auf der anderen Seite ins Tal. Leider ist nicht viel mit Fahren. Zu unwegsam und verwachsen ist der Weg. An einigen Stellen müssen wir über mehrere Meter hohe Steinstufen hinunterklettern und uns die Bikes hinunter reichen. Zunächst ist der Weg kaum zu verfehlen, aber bei den ersten Almgebäuden ändert sich das. Alle Spuren verlaufen sich und wir schauen ratlos umher und versuchen irgendwo eine Spur auszumachen. Vergeblich. So laufen wir mehr oder weniger Querfeldein in Richtung Tal, bis wir wieder zu den nächsten Almgebäuden kommen. Bei Nebel kann man sich hier mangels Weg ganz schön vertun. Zum Glück haben wir heute gute Sicht. Ab den weiteren Almgebäuden ist der Weg dann wieder auszumachen und teilweise sogar fahrbar. Allerdings auf anspruchsvollem S2-S3 Niveau. Die meisten der Almen sind bewohnt und die Leute sind sehr interessiert an uns. Wo wir herkommen, wo wir hin wollen, was die Bikes wiegen. Wir freuen uns über die kurzen Gespräche, wenn wir auch nicht viel verstehen. Lockern sie doch die eintönige Schieberei etwas auf, mit der wir schon seit knapp 2 Stunden beschäftigt sind. Nach den Almgebäuden gelangen wir in lichten Wald, und auch hier verläuft sich der Weg wieder. Ohne Wegweiser, ohne Markierung und wir suchen wieder lange nach dem richtigen Abzweig. Wir verlassen uns auf unser Gefühl und sind glücklicherweise richtig. Teilweise geht immer ein kleines Stück zu fahren. Aber ein richtiger Flow kommt leider nicht zustande. Irgendwann, nach ungefähr 3 Stunden Orientierungsarbeit haben wir es dann doch geschafft und kommen in dem kleinen Dorf Molera an. Wir füllen am Brunnen kurz unsere Wasservorräte auf und rollen auf Asphalt weiter talwärts nach Locana. Hier kaufen wir erst mal ein und machen eine ordentliche (Nach)Mittagspause. Die Schieberei und Wegsuche hat viel Zeit und Kraft gekostet und es ist schon ca. 16:00 Uhr. In der örtlichen Tourist Info lassen wir in Noasca ein Zimmer reservieren. Das Albergo Cascata wird uns diese Nacht beherbergen. So rollen wir die letzten 400 hm gemütlich der Sonne entgegen bis zu unserem Ziel. Auch hier im Cascata ist das Abendessen wieder so umfangreich, wie es wohl im Piemont üblich ist. Wir müssen sogar etwas zurück gehen lassen, da wir wirklich papp satt sind. Die Krönung des Abendessens war eine gemischte Fleischplatte, die man selbst auf einem heissen Stein am Tisch nach belieben grillen konnte. Mir läuft jetzt noch das Wasser im Munde zusammen, wenn ich nur dran denke. Wie schon gesagt, es gefällt uns hier im Piemont.

 

 

8. Tag, Samstag, 11.08.2007, Noasca - Eau Roussex

 

Heute steht uns ein ganz schöner Bocken bevor. Auf der Karte sah es gar nicht so schlimm aus, aber wenn ich nun das Höhendiagramm sehen, weiss ich, warum es mich so angestrengt hat. 1500 hm am Stück, und das gleich nach dem Frühstück. Das Wetter zeigt sich wieder von seiner besten Seite und wir radeln früh los. Auf der Strasse zum Col Nivolè sind wir zunächst die einzigen Radler weit und breit. Erst gegen später tauchen die ersten Rennradler auf und wir können den ein oder anderen ganz schön ärgern. Vom Col Nivolè gehts wieder ein Stück runter und wir halten uns auf der Piste links des Taleinschnitts. Diese Piste kreuzt irgendwann ein Wanderweg, dem wir nach oben folgen. ca 130 hm schieben wir bergwärts um oben auf den ehemaligen kaiserlichen Reitweg zu gelangen. Dieser entpuppt sich als ein wahrer Traumtrail. Kaum verblockte Passagen, dafür immer flowig und mit leichtem Gefälle am Hang entlang. Ein genussvoller S0-S1-Spass. Wir müssen uns regelrecht zum Anhalten zwingen um es nicht zu versäumen, den fantastischen Trail mit der grandiosen Kulisse des Gran Paradiso im Bild festzuhalten. Die 200 hm zum Col di Mento sind fahrend machbar, und auf der folgenden Abfahrt geht der Spass weiter. Im oberen Teil ist der Weg etwas verfallen und wir müssen über grobe Gesteinsbrocken schieben. Dafür kommt jetzt Abwechslung in Form von engen Spitzkehren, high Speed-Abschnitten und kniffligen Steinstufen. Ein Genuss. S2-S3 würde ich sagen. Siggi holt sich an einer der aufgestellten 'Anti-Erosions-Steinplatten' einen Durchschlag. Die erste Panne der Tour. Die Steinplatten stehen quer zum Weg und manche kommen dem Kettenblatt bedrohlich nahe. Kurz darauf der zweite Plattfuss, was dann auch der letzte unserer Tour sein wird. Völlig 'high' vom Trailfieber kommen wir am Casa Orvieille an. Wir vermuten, dass es hier nun auf Schotter ins Tal geht. Aber weit gefehlt. Der Spass scheint kein Ende zu nehmen. Auf zunächst super anspruchsvollem Steintrail (S2-S3) geht es im Wald los und wir nehmen den Abzweig nach Eau Roussex. Weiter auf Steinbelag und später auf erdigem Waldboden geht es in engen aber gut fahrbaren Kehren bis ganz ins Tal hinab. 10 Meter vor dem Hotel Paradies spuckt uns der schier endlose Traumtrail in Eau Roussex aus. Hier bekommen wir auch ein Zimmer. Nur scheinen wir heute ein für das Piemont eher unübliches Abendessen zu bekommen. Warum? Das Abendessen ist für unsere Verhältnisse als sehr 'übersichtlich' zu bezeichnen. Das Hotel macht einen auf Nobel, und versucht dies mit kleinen Portionen zu unterstreichen. Die deutschen Wanderer, die wir im Rif. Elisabeth kennen gelernt haben, sind auch hier.

 

 

9. Tag, Sonntag, 12.08.2007, Eau Roussex - Rif Sogno di Berdze

 

Was wir beim Abendessen vermisst haben, finden wir jetzt beim Frühstück. Ein reichlich gedecktes Buffet kommt unseren knurrenden Mägen gerade recht. Heute stehen zu Beginn 1600 hm am Stück zum Col Lauson an. Die ersten Meter müssen wir schieben, aber dann ist zu unserem Erstaunen nahezu alles fahrbar. Der Eindruck auf der Karte liess eine mühselige Schieberei erwarten. Aber so ist es uns natürlich lieber. Steil ist es trotzdem und wir passieren bald die 2000 m Grenze. An friedlich grasenden Steinböcken und Gemsen vorbei ziehen wir bergwärts. Das Wild scheint Menschen gewohnt zu sein. Als wir zu nahe kommen, gehen sie ganz gemächlich ein paar Schritte weiter. Wir machens genauso und radeln gemütlich unseres Weges. Kurz vor der 3000 m Marke wird dann aber der Weg zum Steig wir müssen ab hier schieben. Die Luft ist hier oben ganz schön dünn, und wir kommen entsprechend langsam voran. Auf den letzten 300 hm liegt noch ordentlich Schnee und es ist wesentlich leichter, das Bike nun zu tragen. Allerdings gibt es einige Stellen an denen der Weg Biker plus Bike nicht tragen kann. Geht man einen Schritt hoch, rutscht man einen halben Meter zurück. Der Granitsand ist mit Schmelzwasser versetzt, und bildet einen schwer zu begehenden Brei. Wir arbeiten uns Kehre um Kehre voran, das Ziel immer im Blick. Der Pass zeichnet sich in scharfer Kontur vom stahlblauen Himmel ab. Schneller als Gedacht sind wir oben und geniessen die Aussicht vom zweithöchsten Punkt unserer Tour. Wir bleiben einige Zeit oben. Viele der nun heraufkommenden Wanderer sind verwundert, hier oben Fahrräder zu sehen. Wir flachsen: "...there's a street on the other side". Zum nächsten sagen wir: "...brought it with a heli". Wir haben so schnell ein lustige Runde beieinander, die uns bei der nun folgenden Abfahrt erwartungsvoll zusieht. Die ersten paar Kehren bestehen aus dem gleichen Granitbrei wie auf der anderen Seite. Bei Trockenheit und entsprechend sicherer Fahrtechnik bestimmt fahrbar, aber wir schieben lieber die paar Meter. Als der Weg nicht mehr gar so steil ist und der Untergrund besser verfestigt ist, steigen wir auf und rollen die ersten Meter. Zunächst an einem Seil vorbei, das den Wanderern Sicherheit geben soll, dann auf weniger ausgesetzten Sektionen im S1-S2-Grad hinunter. Wir geniessen die Abfahrt, ist sie doch schön flowig und teils mit ordentlich Speed zu fahren. Viel zu schnell sind wir schon am Rifugio Vittoria Sella. Hier schauen wir erst mal nach der Bremse an Siggis Bike, die seit dem Morgen etwas Öl von sich gibt. Aber blinder Alarm. Der Druckpunkt ist da, funktionieren tut sie auch, also weiter. Auf nun etwas sehr anspruchsvollem Trail geht es hinunter. Viele Treppen und leider auch viele Wanderer befinden sich auf dem Weg. Aufgrund der vielen Leute ist es teilweise unmöglich eine Fahrlinie auszumachen, und wir schieben an einigen Stellen besser. Zudem ist es saumässig steil. Unten raus wirds wieder besser und wir können wieder alles fahren. Als wir nahe Cogne auf den Asphalt kommen endet wieder eine super Trailabfahrt. Wir rollen talauswärts nach Cogne und überlegen hier zu übernachten. Die Dame in der Tourist Info meint aber was anderes. Es ist nur noch ein Zimmer für über 200€ frei. Nicht gerade die Preisklasse für 2 verstaubte Alpencrosser wie uns. Von Carsten (www.schymik.de), der vor 2 Wochen schon hier war, wissen wir, dass es ein Stück weiter ein Rifugio auf unserer Strecke gibt, welches nicht auf unserer Karte verzeichnet ist. Die Dame in der Info ruft an, Betten sind frei, also los. Zuvor kaufen wir noch Proviant für den nächsten Tag, essen eine Pizza und machen uns auf die letzten 1000 hm für heute. Auf Strasse und später gutem Schotterweg geht es hinauf zum Rifugio 'Sogno di Berdze'. Wir bekommen ein eigenes Zimmer und das Abendessen ist super. Wir unterhalten uns noch lange mit 3 italienischen Radlern, die gerade am Ende einer Rundtour sind und morgen nach Hause ins Aostatal fahren.

 

 

10. Tag, Montag, 13.08.2007, Rif Sogno di Berdze - Rif Barmasse

 

Am Morgen verabschieden wir uns von den 3 Italienern. Der Hüttenwirt mach noch ein gemeinsames Foto und wünscht uns alles Gute für die weitere Reise. Wir fahren, bzw. schieben bald hinauf zum Col Pontonnet. Hier oben schauen wir uns eine Weile um, wie es denn weiter gehen solle. Aber es bleibt nur eine Richtung. Hinüber zum Col Fenis und dann links runter ins Tal. Oben beginnt es in einem Geröllfeld, wir folgen den gelben Markierungen und werden auf die linke Talseite geleitet. Nach wenigen Metern sehen wir, dass an dem Weg gearbeitet wird, bzw. dass hier ein neuer Weg entsteht. So trailen wir auf frisch angelegtem Weg bis zu einer Steiltraverse. Hier müssen wir schieben, da es absolut zu steil ist. Der Weg ist im Mittelteil auch noch nicht fertig gestellt. Unten jedoch sehen wir die Arbeiter, wie sie den Weg von unten herauf anlegen. Als wir bei ihnen ankommen, spricht uns der Vorarbeiter an, es wären vor ein paar Tagen schon mal welche mit dem Rad hier runter gekommen. Wir versprechen den Weg auf Fahrbarkeit zu testen und fahren los. Nach den ersten paar neu angelegten Testkehren bedeuten wir ihnen, dass der Weg super ist, und wir freuen uns schon auf den weiteren Verlauf. Denn nun folgt wieder ein traumhafter Trail, der uns mit leichten Gefälle bis zur 'grand Alpe' führt. Super. Hier angekommen, kommen gerade ein paar einheimische Jugendliche auf ihren Bikes vorbei. Sie sind wohl auf ihrer Trainingsrunde unterwegs. Wir bereden kurz unser Ziel und fahren dann gemeinsam Richtung Tal. Der Junge auf seinem Carbonhardtail lässt es ganz schön krachen und ich habe alle Mühe mit meinem Fully dran zu bleiben. Streckenkenntnis bringt bei hoher Geschwindigkeit doch ein paar Vorteile. Der kurvige Schotterweg wird bei der Geschwindigkeit ganz schön eng, ein zu Tal kriechender Jeep wird kurzerhand auf italienisch aus dem Weg geschrien.  Zwischendrin warten wir auf den Rest der Gruppe, und ich frage Ihn nach Singletrails, die ins Tal führen. Er nickt und sagt, wir sollen ihm folgen. Ein paar Kehren vernichten wir noch auf der Strasse. Dann wird unser 'local Guide' langsamer, blickt kurz um und sagt "Singletrack" um dann kurz darauf im Wald zu verschwinden. Wir folgen schnell, um nicht den Anschluss zu verlieren. Steil geht es auf anspruchsvollem Trail hinunter, um Bäume herum, in Senken hinein und Anlieger, einfach klasse. In Barche dann trennen sich unsere Wege und wir fahren weiter nach Chambave, wo wir erst mal Mittagspause machen. Gut gestärkt fahren wir jetzt über unzählige Kehren hinauf zum Col des Bornes. Bis hierher war die Wegfindung noch einfach. Danach stimmt unsere Karte mit der Wirklichkeit nicht so ganz überein, und auch die Wegweiser sind wenig aussagekräftig. Wir stehen an jedem der zahlreichen Abzweige, Kreuzungen und Weggabeln und überlegen, welcher wohl der Richtige wäre. Das kostet uns viel Zeit und vor allem Nerven. Für die letzten 18 km des Tages brauchen wir so eine gefühlte Ewigkeit. So sind wir trotz der nicht aussergewöhnlichen Fahrleistungen heute schon ziemlich platt, als wir endlich am Rifugio Barmasse am Lago di Cignana ankommen. Zum Glück bekommen wir ein Zimmer, da stört es uns auch nicht, dass die Dusche kalt ist.

 

 

11. Tag, Dienstag, 14.08.2007, Rif Barmasse - Rif Teodulo

 

Nachts regnet es kräftig. Während ich so im Bett liege und die Regentropfen auf das Blechdach prasseln, male ich mir aus, wie wir am Morgen in den Regenklamotten losfahren. Aber kaum haben wir das Frühstücksbuffet leer geräumt, lichtet sich der Nebel und die Sonne bricht durch. In phantastischer Morgenstimmung radeln wir bei eisigen Temperaturen über die Staumauer am Lago Cignana vorbei und hinauf zum Fin. di Cignana. Die letzten paar Meter bis zum Pass müssen wir schieben. Laut Karte müssten wir von hier oben eigentlich das Matterhorn sehen. Aber leider ist noch zu viel Nebel, so dass wir nur in eine weisse Wand blicken. Trotzdem lassen wir uns den Spass auf dem nun folgenden Trail nicht vermiesen. Es ist wieder eine Abfahrt der Spitzenklasse. Ein flowiger Trail am Hang entlang, zunächst leicht abfallend, S0-S1. Und kaum sind wir um die erste Ecke gebogen, da lichtet sich der Nebel. Erst zögerlich, dann immer mehr. Und dann bekommen wir es zu sehen, die markante Felsformation, der bekannteste Berg der Schweiz, der Traum eines jeden Bergsteigers: das Matterhorn! Wir wechseln nun ständig ab zwischen fahren, kucken und knipsen. Der Nebel hat sich komplett verzogen, und ein paar Wolken um den Gipfel geben einen guten Kontrast für die Fotos. Der Trail wird immer anspruchsvoller auf S2-S3-Niveau und wir haben ganz schön zu kämpfen. Nicht nur einmal kratzt das Schaltwerk an einem der wegbegrenzenden Felsen. Ist wirklich nicht einfach, aber super technisch zu fahren. Schön langsam und schön kontrolliert trailen wir zu Tal. Und das zu unserer und zur Freude der heraufkommenden italienischen Wanderer, die uns sofort den Weg frei machen und unsere Fahrt lautstark kommentieren: "bravissimo, phantastico ... mamamia ...". In Deutschland undenkbar. Es ist einfach schön, in Italien Rad zu fahren. Als uns der Trail unten auf die Asphaltstrasse entlässt, bemerke ich ein komisches Rattern an meiner Schaltung. Bin ich wohl doch einem Stein etwas zu nahe gekommen. Erst denke ich, ich wechsle das Schaltauge und weiter geht's. Bei genauerem Betrachten stellt sich aber heraus, dass die obere Schaltrolle gebrochen ist. Es fehlt einfach die Hälfte. Wie konnte das nur passieren? Nun, egal. Zum Glück habe ich dafür Ersatz dabei. Eigentlich, weil man eine Schaltrolle ja gerne mal verliert, wenn die Schraube sich lockert. Aber dass das Zahnrad auseinander bricht ist uns noch nie unter gekommen. Dank des Ersatzteils ist die Reparatur schnell vorgenommen, und wir fahren auf der Strasse weiter nach Breuil. In den Strassen herrscht reges Treiben und wir suchen einen Supermarkt um unser Proviant aufzufüllen. An einem Pizzastand nehmen wir noch Kohlehydrate zu uns, bevor wir die Auffahrt zum Rifugio Teodulo suchen. Erst auf Asphalt, dann auf Schotter geht es steil bergan. Eine steile Rampe folgt der anderen. Siggi drückt hier alles hoch, ich schone meine Kräfte und schiebe ab und zu. Ich bin deswegen kaum langsamer, und wer weiss, wie  anstrengend es jenseits der 3000 m noch wird. Denn auch heute werden wir die letzten 300 hm tragend und vermutlich im Schnee hinter uns bringen müssen. Der Himmel macht während unserer Auffahrt zu und es zieht etwas Nebel auf. Aber zum Glück nicht so stark, dass wir Orientierungsprobleme bekommen. Bis ca. 3000m reicht der Fahrweg, der eigentlich nicht zu verfehlen ist. Dann folgen wir konsequent der gelben Markierung und weichen teilweise auf das rechts neben dem Schneefeld gelegene Geröll aus. So kommen wir ohne gross durch den Schnee laufen zu müssen relativ schnell am Rifugio Teodulo an. Wegen des aufgezogenen Nebels ist es recht frisch hier oben, und wir verziehen uns schnell ins Innere der Hütte. Dies ist heute der höchste Punkt unserer Tour und zugleich auch die höchste Übernachtung auf 3317 m. Das wird natürlich mit einem kühlen Birra Moretti begossen.

 

 

12. Tag, Mittwoch, 15.08.2007, Rif Teodulo - Sion

 

Seit 4 Uhr ist die Nacht vorbei. Die Bergsteiger, die auf das Breithorn gehen, brechen früh auf und machen dabei ganz schön Radau. Wir hingegen haben's nicht so eilig, und warten bis die ersten Sonnenstrahlen zum Fenster hereinlugen. Nach ausgiebigem Frühstück mit Matterhornkulisse brechen wir in der Morgensonne auf. Auf dem zur Skipiste präparierten Theodulgletscher fahren wir entlang des Liftes ins Tal. Im oberen Teil ist noch alles gut gefroren und entsprechend einfach zu befahren. Je weiter wir an Höhe verlieren desto weicher wird der Schnee und es bedarf einiger Fahrkünste, um in der Spur zu bleiben. Eine Seilschaft quert den Gletscher gerade in dem Moment, als wir hinunterfahren. Einer der Bergsteiger fragt interessiert nach unserer Ausrüstung: habt Ihr Spikes, woher kommt Ihr usw. Er macht gerade mit der Gruppe einen Spaltenrettungskurs. Wir fahren weiter bis zum 'Trockenen Steg'. Da das Wetter und die Kulisse gerade einmalig sind, verbringen wir viel Zeit mit Fotoshooting. Ab dem 'Trockenen Steg' nehmen wir den Trail hinunter Richtung Zermatt. Ein super Trail mit nur kurzen Schiebepassagen. Schwierigkeit S0-S2. Das Gestein ist vom Schmelzwasser oft nass und macht einige Sektionen erheblich schwieriger als sie unter trockenen Bedingungen wären. Ab Furgg geht es auf der Skipiste weiter. Die ist aber keineswegs langweilig, da sie zum Einen mit grobem Gestein belegt ist und zum Teil super steil ist. Unten in Zermatt schauen wir nochmals zurück auf die Kulisse des Matterhorns bevor wir uns im Touri-getümmel durch den autofreien Ort kämpfen. In schneller Fahrt folgen wir der Strasse talauswärts und wir sind bald in Visp angekommen. Von hier folgen nun 60 schnelle Windschattenkilometer. Das Wetter ist nach wie vor gut, und wir scheinen etwas Rückenwind zu haben. Den Tacho können wir zwischen 25 und 30 halten und so sind wir in gut 2 Stunden in Sion (Sitten) und an unserem Auto angekommen, und somit am Ende unserer Tour. Eine Tour über 12 Tage, eine Tour über unzählige Höhen- und Kilometer. Eine Tour deren Eindrücke wir erst mal verarbeiten müssen.

 

...Eine Tour die wir nie vergessen werden...!

Helmut Hägele

 

 

 

Helmut Hägele, Siegfried Hügler - September 2007

©www.noBrakes.de

zurück